Der Tintenfisch - ein Tier mit drei Herzen

Veröffentlicht am : 05. April 2020
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Tintenfische sind keine Fische, auch wenn der Name diese Verwechselung nahe legt. Wirbel und Gräten, wie bei Fischen üblich, fehlen gänzlich. Sie sind eine Unterklasse der Kopffüßer, die durch ein von Weichteilen umschlossenes Gehäuse oder dessen Rudimente und den Besitz eines Tintenbeutels ausgezeichnet sind.

Die wirbellosen Tintenfische werden als Meeresfrüchte in der mediterranen Küche und in Asien gern und vielfältig verwendet. In der deutschen Küchensprache werden meist alle essbaren Kopffüßer als Tintenfische bezeichnet und in Kalmare (Calamari, Kalamari, Seppie, Polpi, Calamares) und Kraken (Octopus, Polpo, Pulpo) unterschieden, wohingegen in anderen Küchensprachen, zum Beispiel im Portugiesischen, auch kulinarisch klar zwischen Sepia (choco), Krake (polvo) und Kalmar (lula) unterschieden wird.

Die Verwendung der Tiere als Lebensmittel soll uns hier aber nur am Rande interessieren, obwohl die meisten von uns diese Tiere eben nur so kennen dürften. Tintenfische leben in Tiefen von bis zu 200 m. Man trifft sie u.a. im Mittelmeer, aber auch in vielen anderen Meeren dieser Erde bis hin in die kalten Regionen der Eismeere an.

Im Juni 2019 stießen amerikanische Forscher bei Unterwasservideoaufnahmen etwa 160 sm von New Orleans entfernt auf einen Riesenkalmar bisher unbekannter Größe. Riesenkalmare (Architeuthis dux) sind bisher wenig erforscht. Die Wissenschaftler hatten bereits stundenlanges Videomaterial gesichtet, als plötzlich ein heller Wurm aus dem Dunkel schlängelt. Bei näherem Herankommen fächerten sich die Fangarme des Tieres auf und es war ein ca. 3 bis 4 m großer, junger Riesenkalmar zu sehen. Nachdem das Tier erkannte, daß die weder Kamera noch Scheinwerfer fressbar waren, verschwand es wieder in der Dunkelheit.

Über Architeuthis dux, den Riesenkalmar, ist nur wenig bekannt. Aber auch viele andere Verwandte aus der Familie der Kopffüßler bürgen noch eine Reihe Geheimnisse in sich. Bekannt ist aber, daß sie drei (3) Herzen haben sollen und ihr Blut einen blauen Farbton aufweist. Sie verfügen als einzigste Weichtiere über ein großes und vollständiges Gehirn. Ihre Lebenserwartung ist allerdings nicht sehr hoch. Gewöhnlich werden die Tiere nur 2 Jahre alt. „Sie sind intelligent, bunt, schnell, raffiniert, merkwürdig und inspirierend“, schreiben die Meeresbiologen Roger Hanlon, Mike Vecchione und Louise Allcock in ihrem Buch „Octopus, Squid & Cuttlefish“. Neurowissenschaftler und Biologen erhoffen sich von der Erforschung der Kopffüßer tiefgreifende Einblicke in die Evolution, aber auch Astrobiologen interessieren sich für die irdischen Aliens.

Es war noch nicht einmal wissenschaftlich belegt, daß es ihn gibt, da spukte der Riesenkalmar durch die menschliche Phantasie. Tiefunten im Meer lauere „der Krake" – ein Monster, so gewaltig und furchterregend wie kein anderes Meeresungeheuer, erzählten sich einst die Seefahrer. Die Monster seien groß wie eine Insel und könnten ganze Schiffe mit sich in die Tiefe reißen. Das können sie natürlich nicht, aber die Seeleute glaubten an solche Geschichten. Bereits in einer um das Jahr 1180 verfassten Saga über den norwegischen König Sverre Sigurdsson kämpft dieser – neben weiteren Meeresungeheuern – gegen einen Riesenkraken.

In der ersten Ausgabe seines Werks zur wissenschaftlichen Klassifizierung von Tieren, Pflanzen und Mineralien von 1735 hielt der schwedische Naturforscher Carl Linnès den Riesenkraken unter der Bezeichnung Microcosmus marinus fest Er selbst hatte dieses Tier nie gesehen und erst Jahrhunderte später wurde seine tatsächliche Existenz wissenschaftlich nachgewiesen.

1854 spülte der Zufall schließlich den entscheidenden Beweis für die Existenz des Riesenkalmar an: Fischer entdeckten an einem Strand in Jütland den Kadaver eines riesigen unbekannten Tieres. Sein Fleisch verarbeiteten sie zu Fischfutter, aber der Schnabel gelangte in die Hände des dänischen Meeresforschers Japetus Steenstrup. Steenstrup hatte schon Jahre zuvor fieberhaft nach Beweisen für die Existenz gesucht, doch konnte er in einem Vortrag vor der Dänischen Naturhistorischen Gesellschaft erstmals die Existenz des sagenumwobenen Riesenkraken belegen, der seither unter seinem wissenschaftlichen Namen Architeuthis dux bekannt ist.

Richtigerweise war in Jütland kein Krake sondern ein Kalmar angespült worden. Das Tier hatte nämlich neben seinen 8 Armen auch noch 2 lange Tentakel, was typisch für einen Kalmar ist. Kraken haben keine Tentakel. Es gibt dann noch die Sepien, die man daran erkennt, daß sie 10-armig sind. Alle 3 Arten werden auch als Tintenfische bezeichnet.

Ihre schalenlosen Verwandten sind da flexibler: Selbst im Abyssal, jenem lichtlosen Bereich der Tiefsee zwischen zweitausend und sechstausend Meter unter dem Meeresspiegel, kommen noch Oktopus-Arten vor. Die größte Vielfalt an Kopffüßern ist tagsüber zwischen zweihundert und tausend Meter zu finden. Dort leben die meisten Kalmar-Arten nebst einigen anderen Cephalopoden. Auch Architeuthis dux bewohnt diese lichtlose, schwer zugängliche Zone, weshalb Wissenschaftler bisher meist nur Reste angespülter Kadaver untersuchen konnten.

Die Arten, die in der Tiefsee vorkommen, sind für die Zubereitung in der Küche nicht geeignet, weil sie als Schwimmgas Ammoniak in ihrem Gewebe einlagern. Dennoch werden sie nicht selten ein Opfer der Schleppnetzfischerei in der Tiefsee.

Über frischen Architeuthis im Beifang freuten sich aber kürzlich Wissenschaftler der Universität Kopenhagen aus anderen Gründen. Dank der unverdorbenen Gewebeproben konnten sie erstmals das Genom eines Riesenkalmars sequenzieren und mit Gendaten aus Gewebeproben anderer, verwandter Kalmarspezies vergleichen. Die Forscher trieb die Frage um, wie der Riesenkalmar zu seiner gewaltigen Größe kam. Ausgewachsen wird Architeuthis dux vermutlich zwischen zehn und zwölf Meter lang. Genau lässt sich das wegen der Dehnbarkeit seiner Arme schlecht bestimmen. Allein der Kopf aber wird einen Meter lang und bietet Platz für zwei tellergroße Augen.

Wie die dänischen Wissenschaftler feststellten, besteht das Genom des Riesenkalmars aus ca. 27, Milliarden Basenpaaren. Das entspricht erstaunlicherweise 90 % der Größe des menschlichen Erbgutes. Aus der Größe des Genoms konnten die Wissenschaftler aber nichts zur Frage der extremen Größe dieser Tiere ableiten. Sie fanden aber spezielle Gene, die es ermöglichen, ein komplettes Gehirn zu „verdrahten“. Zuvor war diese Eigenschaften nur von Wirbeltieren bekannt.

Die meisten Cephalopoden sind deutlich kleiner als Architeuthis dux. Einige Oktopoden etwa werden nur wenige Zentimeter groß. Ob winzig oder riesig, alle Kopffüßer teilen grob den gleichen Körperbauplan: Wie ihr Name vermuten lässt, hängen die Füße beziehungsweise Arme der Cephalopoden direkt am Kopf. In ihrer Mitte liegt der Mund, der mit einem papageienartigen Schnabel bewehrt ist.

Die Nahrung der meisten Kopffüßler besteht aus kleinen Weichtieren, Fischen und Krustentieren. Da die Zunge der Kopffüßler eine Vielzahl an Zähnen aufweise, wird die Nahrung nicht gekaut sondern zerraspelt bis ein Brei entsteht. Dieser gelangt dann durch die Speiseröhre, die, was bei Wirbeltieren völlig unbekannt ist, direkt durch das Gehirn der Tiere führt, in den Magen.

Der zentrale Teil des Gehirns macht bei Kopffüßern aber nur etwa ein Drittel des Nervensystems aus. Der Rest erstreckt sich bis an die äußersten Spitzen ihrer Tentakel. Etwa sechzig Prozent der Neuronen verteilen sich auf Arme, Haut und andere Organe.

Es wurde auch beobachtet, daß einzelne Kraken und Kalmare ihre Arme abwerfen können. Da diese mit Neuronen besetzt sind, können sie eine ganze Weile noch sich selbständig bewegen und somit Feinde in die Irre führen.

Für die Cephalopoden ist die weiträumige Verteilung ihres Nervensystems auch aus anderen Gründen sinnvoll. Ihre Arme sind als regelrechte Multifunktionswerkzeuge ausgebildet. Sie können Gegenstände greifen und festhalten; manche Arten laufen damit auch über den Meeresboden; und die Saugnäpfe an den Armen sind mit Sinneszellen ausgestattet, mit denen die Tiere fühlen und schmecken können.

Das Leben der meisten Kopffüßler gestaltet sich schnell und ist kurz. Einzig der Nautilus liebt die Gemächlichkeit. Das kann er auch schon deshalb, weil seine Lebenserwartung bei ca. 20 Jahren liegt.

Gerade bei den großen und supergroßen Formen jedoch läuft der Stoffwechsel des Tieres fast ununterbrochen auf Hochtouren. Immerhin müssen sie wöchentlich ihr Gewicht verdoppeln, um in kürzester Zeit ihre stattliche Größe zu erreichen. Die Tiere haben ein zentrales Herz und zwei weitere kleine Herzen in der Nähe der Kiemen. Diese sind dafür nötig, damit der durch die Kiemen aufgenommene Sauerstoff schneller und damit verlustärmer zum systemischen Herzen und letztendlich in alle Körperteile gelangen kann.

Infolge des Fehlens eines Skeletts und von Gelenken sind Kopffüßler in der Lage, mittels des muskulären Hydrostates ihre Arme in praktisch jede Richtung schnell zu bewegen. Ähnliches kann z.B. der Elefant mit seinem Rüssel. Verantwortlich dafür, daß die Tiere ihre Arme koordiniert bewegen und nicht immer und immer verschlingen ist ihr komplexes Nervensystem.

Tintenfische sind wahre Perfektionisten in Sachen Tarnung. Insbesondere die Tiere, die in flacheren Gewässern, in Korallenriffen und Seegraswiesen leben, habe eine besonders perfekte Tarnung entwickelt. Oktopoden können zum Beispiel die Textur ihrer Haut ändern, indem sie kleine Regionen darin, die sogenannten Papillae, zusammenziehen oder wieder entspannen und damit die Oberflächenfarbe dieser Bereiche ändern. Damit können sie sich ziemlich gut an die komplexe Oberfläche einiger Korallenarten perfekt anpassen. Die Tintenfische ahmen dabei nicht nur die Gestalt, sondern auch die Farbe des Untergrunds nach. Ähnlich den Pixeln eines Bildschirms enthält die Haut von Tintenfischen Millionen von Farbzellen, die sogenannten Chromatophoren. Die Farbpigmente können je nach Spezies, rot, braun oder gelb sein. Mittels eine zweiten verschiebbaren Hautschicht können die Tiere aber eine Vielzahl weiterer Farben hervor bringen. Unter den Farbzellen liegen die sogenannten Iridophoren. Sie werfen – ähnlich wie eine metallische Oberfläche – das Umgebungslicht zurück und beeinflussen damit den Kontrast und die Farben der Chromatophoren. Eine dritte, tiefer liegende Schicht aus weißen Zellen kann den Kontrast zusätzlich verstärken. Im Umfärbung erfolgt bei den Tintenfischen binnen eines Sekundenbruchteils. Ein Chamäleon ändert im Vergleich zum Tintenfisch seine Farbe im Schneckentempo.

Entscheidend für die perfekte Tarnung der Tintenfische ist deren hervorragendes Sehvermögen. Die Augen sind ähnlich denen der Wirbeltiere, also auch der Menschen, aufgebaut und liefern dem Tier eine exakte Wiedergabe der Umgebung. Auch im Dunkeln ist das Sehvermögen überragend gut. Neben den Augen nutzen die Tintenfische auch lichtempfindliche Moleküle ihrer Haut. Wie den Tieren allerdings der perfekte Farbenmix ihrer Tarnung gelingt, konnte bisher noch nicht erforscht werden.

Falls einmal die Tarnung fehl schlägt, strecken die Tiere ihre Arme soweit es geht aus und deuten damit eine abschreckende Körpergröße an. Hilft auch das nicht, entfernen sie sich unter Ausstoß von reichlich Tinte mit hoher Geschwindigkeit vom Ort der Gefahr. Die Tinte ist in einem in der Darmnähe befindlichen Beutel gespeichert und kann bei Bedarf schlagartig ausgestoßen werden.

Angriffslustige Monster sind Kopffüßer – anders als in den Legenden – also offenbar nicht. Aber Aliens vielleicht doch? Erst 2018 setzten sich 33 Astrobiologen unterschiedlicher Universitäten und Institutionen im Fachjournal Progress in Biophysics and Molecular Biology ganz im Ernst mit der Frage auseinander, ob die ersten Kraken, Sepien und Kalmare möglicherweise aus dem All kamen. Hierfür spreche u.a. das komplexe Nervensystem der Tintenfische, das sich bei Wirbeltieren erst im Laufe der Evolution vergleichbar entwickelt habe. Überprüfbare Beweise für die Alientheorie gibt es allerding keine.

Doch Vorfahren der Cephalopoden sind in fossilen Spuren bereits im frühen Erdaltertum belegt. Anders als ihre Vorgänger entwickelten die Tintenfische keine äußeren Schalen mehr und konnten sich somit flexibler bewegen. Kopffüßer können also – trotz ihrer vielen ungewöhnlichen Eigenschaften – wissenschaftlich plausibel in den Tierstamm der Weichtiere eingeordnet werden, zu dem auch Schnecken und Muscheln gehören. Viel eher als um Außerirdische handelt es sich bei Cephalopoden deshalb einfach um ein besonderes Experiment der Evolution: Lebewesen, die unabhängig von den Wirbeltieren ein komplexes Nervensystem entwickelt haben und einen beweglichen Körper voller Möglichkeiten.

Die Kopffüßler sind recht intelligente Lebewesen. Nicht umsonst überleben sie in dem 2002 erschienenen Buch „The Future Is Wild“ die Menschheit. In phantastischer Weise wird dort beschrieben, wie sich die Kopffüßler weiter entwickeln, aus dem Wasser steigen und die Erde besiedeln würden. Wissenschaftlicher des Max Planck Instituts für Hirnforschung in Frankfurt / Main befassen sich gegenwärtig mit der Untersuchung der Leistungsfähigkeit des Gehirns der Tintenfische. Auf der Ebene der Nervenzellen soll sich das Gehirn der Cephalopoden gar nicht so markant von dem des Menschen unterscheiden. Erst auf der anatomischen Ebene des Netzwerks der Neuronen sind dann doch merkliche Unterschiede zu erkennen, so die Wissenschaftler.


„Aber diese beiden unterschiedlichen Gehirne (Mensch und Tintenfisch) mussten ganz ähnliche Probleme lösen“, sagt Gilles Laurent. Sowohl Wirbeltiere als auch Kopffüßer hätten gelernt zu schwimmen, Nahrung zu finden, Licht zu erkennen, Feinden zu entgehen und sich zu vermehren. „All diese Aspekte, die ein Tierleben ausmachen, haben sich in beiden Fällen - unabhängig voneinander - entwickelt“, sagt Laurent. Nun gelte es herauszufinden, ob beide Entwicklungslinien ähnliche oder ganz unterschiedliche Lösungen für ihre Probleme gefunden hätten. Man vermute daher, daß der Mensch und der Kopffüßler in ihrem Ursprung möglicherweise vom gleichen Urtier abstammen könnten. Fraglich ist jedoch, wie in dieses Bild die jahrelang vertretene Theorie, der Mensch stamme vom Affen ab, paßt. Vielleicht ist auch der Affe eine Zwischenform zwischen dem Urtier und dem Menschen, wobei ein Teil der Affenpopulation im Affenstadium verbleiben ist, während der andere Teil sich zum Menschen fort entwickelt hat.

Cephalopoden sind zwar nicht nach klassischen menschlichen Maßstäben intelligent, ein Beispiel für Intelligenz als evolutionäre Errungenschaft sind sie aber dennoch.

T.G.

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