Kann ein Tier als Zeuge in einem Prozess auftreten?

Veröffentlicht am : 02. September 2024
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“Wie soll das gehen?”, werden sich sicherlich viele Leser dieses Artikels fragen. Und da sind sie nicht allein. Selbst der Autor hat Zweifel an der Machbarkeit. Auch wenn in jüngster Vergangenheit bereits massive Bestrebungen festzustellen sind, die den Tieren einen besseren rechtlichen Schutz gewähren sollen, ist es kaum denkbar, daß Tiere die Position eines Zeugen in einem Verfahren einnehmen können.

Am 7. Mai 2019 – ist ein Datum in der Rechtsgeschichte, das man nicht ohne eine gewisse Verwunderung benennen kann: An diesem Tag fand vor dem Strafgericht Nr. 1 von Santa Cruz de Tenerife eine Verhandlung in einem Fall von Tiermisshandlung statt. Der Sachverhalt der Anklage lässt sich so zusammenfassen, dass der Angeklagte, der damals einen Hund besaß, diesen verletzt in einen Koffer steckte und danach in eine Mülltonne warf. Der Vorfall ereigneten sich 2012, als der damals noch recht kurz gefaßte Artikel 337 des Strafgesetzbuchs in Kraft war, der die ungerechtfertigte Misshandlung eines Haus- oder zahmen Tieres, die den Tod oder eine schwere Verletzung verursacht, mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu einem Jahr bestraft hat.

Der Fall ist berühmt, weil der Hund namens Milagros als verletzter Zeuge vor Gericht auftrat und ein großes Medienecho hervorrief. Es scheint, dass das Ziel nicht darin bestand, eine Aussage zu erhalten, sondern die sonst von Zeugen zu erwartende Aussage sichtbar zu machen, was sie auch tat. Man muß an dieser Stelle aber auch daran denken, daß ein Hundeleben erheblich kürzer ist, als ein Menschenleben. Innerhalb der 7 Jahre zwischen der Tat und der Verhandlung ist der Hund um ca. 40 Hundejahre gealter. D.h., wäre der Hund zum Zeitpunkt der Verhandlung 70 Hundejahre alt, müßte er Zeugnis ablegen über das, was ihm mit 30 Jahren widerfahren ist. Aber das ist noch nicht alles. Hunde leben im Hier und Jetzt. Die Vergangenheit spielt für sie also kaum oder gar keine Rolle mehr. Dieser Umstand dürfte aber auch die Wertigkeit einer Zeugenäußerung ganz erheblich beeinträchtigen.

Dennoch gab es in der Vergangenheit einige Beispiele, in denen Äußerungen von Tieren (hauptsächlich Papagaien) in Gerichtsverfahren vorgetragen worden sind.

Es gibt aber dennoch eine kleine Tradition, dass Tiere als Zeugen auftreten, Im Jahr 2015 wurde ein afrikanischer Graupapagei, der am Tatort anwesend war, in einem Mordfall in Michigan gehört, wie er wiederholte: „Nicht schießen! Der Papagei sagte jedoch nicht vor Gericht aus, sondern ein Mensch sagte aus, was der Papagei sagte. Ähnlich verhält es sich mit dem Papagei, der Zeuge der Vergewaltigung und Ermordung von Elizabeth Toledo in Argentinien war, den ein Polizist bei der Hausdurchsuchung sagen hörte: „ay no, por favor soltame“ (oh nein, bitte lass mich gehen). In diesem Fall wird nicht der Papagei als Zeuge aufgerufen, sondern ein Zeuge, der erklärt, dass ein Papagei etwas gesagt hat, und dem der Richter die Beweiskraft zuerkennt, die er ihm zuerkennen will.

Berühmt ist der „Meineidspapagei“ in einem der Perry-Mason-Fälle, der Zeuge eines Mordes wird, aber anstatt “Helen” „Ellen“ sagt und eine andere Frau, die mit dem Opfer verwandt ist, fälschlicherweise beschuldigt.

Ein anderer Papagei aus der indischen Familie Sharma war 2014 Zeuge des Mordes an der Tante durch den Neffen. Aber dieser Papagei (mit dem fabelhaften Namen „Hercule) gab nicht nur ein paar letzte Worte wieder, sondern begann den Namen des Täters zu schreien und reagierte heftig darauf. Der Täter hat die Tat gestanden, und streng genommen ist dieses Verhalten des Vogels, obwohl es eher einer Zeugenaussage ähnelt, keine echte Zeugenaussage. Auch hier sagt ein menschlicher Zeuge aus, was der Vogel tut.

Im Jahr 2010 entdeckte die Polizei in der Nähe von Charleston bei der Untersuchung eines Falles von Misshandlung einer 98-jährigen Frau, dass der Papagei der Frau immer wieder „Hilfe! Hilfe!“, gefolgt von etwas, das wie höhnisches Gelächter klang, in diesem Fall von der Tochter des Opfers. Trotz der Sensationslust sagt nicht der Papagei als Zeuge aus, sondern ein Polizeibeamter, der über die von ihm vorgefundenen Zustände aussagt, zu denen auch ein Papagei gehört, der bestimmte Laute von sich gibt.

Die leider zunehmend zu beobachtende Vermenschlichung der Tiere, die wenig mit ihrem Schutz zu tun hat, auch wenn sie auf guten Absichten beruht, ist äußerst beunruhigend. Die Tiere, die verurteilt werden oder Zeugnis ablegen, haben einen mittelalterlichen Heiligenschein: Ratten, die hingerichtet werden, weil sie Getreide gefressen haben, Schweine, die je nach gezeigter Zuneigung die verurteilte Bestialität mehr oder weniger untermauert haben, Verwandte von Hexen. Auch sie sind keine Zeugnisse, oder sie sollten es nicht sein. Das Tier kann kein Zeugnis ablegen, das heißt, es kann keine „Wissenserklärung, die ein Mensch über eine von ihm erlebte Realität abgibt“, abgeben. Das Tier ist keine Person, aber auch keine Sache – es ist eben ein Tier und das sollte allgemein anerkannt werden.

Natürlich müssen die verschiedenen tierischen Intelligenzen unabhängig voneinander analysiert werden. Ein wirbelloses Tier ist nicht dasselbe wie ein Gorilla, der durch Zeichen sprechen kann, oder ein Papagei, der Töne wiedergibt, oder ein Hund. In den merkwürdigen Fällen mit Papageien beispielsweise wird berücksichtigt, dass der Papagei Geräusche genauso wiedergibt wie ein Tonbandgerät. Zu Beweiszwecken ist er genau das: ein organisches Tonbandgerät. Aber er kann kein Zeuge sein. Die Aufzeichnung des Papageis könnte allenfalls als ein Urkundsbeweis angeshen werden, aber auch das dürfte sehr umstritten sein. Ungeachtet der Unmittelbarkeit unterliegt die Interpretation des Verhaltens von Tieren nicht denselben Maximen der Interpretation menschlichen Verhaltens. Darüber hinaus wird ein Großteil des Wissens des Richters, wie das aller nicht fachkundigen Parteien, auf persönlichen Erfahrungen oder vielleicht irrigen Klischeedenkens beruhen. Wenn ein Hund kräftig mit dem Schwanz wedelt oder bellt, ist er dann glücklich oder ängstlich, wie zuverlässig ist das Gedächtnis eines Tieres, und kann eine menschlich gute oder legitime oder rechtmäßige Handlung ein Tier traumatisieren? Es scheint, dass die Interpretation des Verhaltens eines Tieres Gegenstand eines Berichts sein muss, der in der Anhörung bestätigt und erweitert wird. Bei Tieren, die nur eine kurze Lebenserwartung haben, scheint es außerdem mit der elementaren Ernsthaftigkeit unvereinbar zu sein, jedes Ergebnis von ihrem Erscheinen vor Gericht abhängig zu machen. Somit besteht sehr leicht die Gefahr der Fehlinterpretation des tierischen Verhaltens durch den Richter, verbunden mit der Gefahr, daß hierdurch dramatische Fehlurteile gespreochen werden kömnnten.

Auch kann das Umfeld einer Prüfung nicht ideal sein, da ein Tier je nach seinen Möglichkeiten das eine oder andere Verhalten zeigt. Ein Papagei kann in der Gegenwart von Fremden gehemmt sein oder ein Hund kann ängstlich sein. Es scheint durchaus möglich zu sein, Tiere mit ihren Einschränkungen als Wissensquelle bei strafrechtlichen Ermittlungen zu nutzen. Tatsächlich wird dies getan: Bestimmte Handlungen werden zum Beispiel dem Geruchssinn eines gut ausgebildeten Hundes anvertraut. Man kann sich leicht ein Identifizierungsverfahren vorstellen, bei dem einem Hund eine Person gezeigt wird und seine Reaktion beobachtet wird. Aber auch hier ist zu beachten, daß nicht jeder beliebige Hund in der Lage ist, diese Aufgabe zu lösen.

Kann ein Tier in jedem Fall als Zeuge vorgeschlagen werden? In Artikel 360 des Gerichtsverfassungsgesetzes heißt es: „Die Parteien können beantragen, dass Personen, die Kenntnis von streitigen Tatsachen haben, die sich auf den Gegenstand der Verhandlung beziehen, als Zeugen aussagen“, und in Artikel 361: „Alle Personen können als Zeugen aussagen, mit Ausnahme derjenigen, die in Bezug auf Tatsachen, von denen sie nur durch ihre Sinne Kenntnis erlangen können, dauernd des Verstandes oder des Gebrauchs ihrer Sinne beraubt sind. Minderjährige, die das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, können als Zeugen aussagen, wenn sie nach Auffassung des Gerichts über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügen, um wahrheitsgemäß zu wissen und auszusagen“.

Um Zeuge zu sein, muss man also eine Person sein und darf nicht dauerhaft der Vernunft oder des Gebrauchs der Sinne beraubt sein, die notwendig sind, um mit diesen Sinnen Wissen zu erlangen. Ein Tier, das zwar über eine angemessene sensorische Fähigkeit verfügt, etwas wahrzunehmen und sogar zu wiederholen, hat keinen Verstand und ist auf jeden Fall keine Person. Es kann auch kein Zeuge sein, durch den eine andere Person spricht“, geschweige denn, durch den sein Besitzer oder die Staatsanwaltschaft spricht.

Angesichts der aktuellen Rechtsentwicklung bleiben natürlich Fragen offen, die möglicherweise in der Zukunft zu klären sein werden. Worin besteht der Unterschied zwischen einer Person und einem fühlenden Wesen, was das Recht mittlerweile Tieren zuerkannt hat? Rechtfertigt die Fähigkeit zu fühlen die Aussage eines Tieres? Ein empfindungsfähiges Wesen ist ein Status, der Rechte verleiht, und eine Person ist ein Status, der Rechte und Pflichten mit sich bringt. Es scheint, dass ein Tier kein Zeuge sein kann. Das Offensichtliche zu erklären, verursacht ein gewisses Gefühl der Lächerlichkeit, aber es scheint unvermeidlich zu sein, dass irgendwann ein Hund als Zeuge in einer Strafsache aussagen oder angehört werden muss, wobei jeder Besitzer an einem Ende des Gerichtssaals darüber entscheiden muss, ob er lieber bei Mama oder Papa sein möchte.

F.S.

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